Benutzer:Matthias M/Blog:2012 October 18 10:00:00 CEST

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Der folgende Text ist alleinig meine privat-persönliche Meinung und muss nicht zwingend die Meinung des ganzen Vereins(tm) widerspiegeln.

Offener Brief an GdP

„GdP warnt vor anonymisiertem Zugang zu öffentlichen WLAN-Netzen“


Sehr geehrter Herr Witthau, sehr geehrter Herr Holecek, liebe Mitglieder der Gewerkschaft der Polizei (insbesondere aus MV),

in einer Pressemitteilung der Polizeigewerkschaft sprechen Sie sich gegen eine Förderung freier WLANs aus und fordern von der Politik eine noch umfassendere Regelung zur Erfassung von Telekommunikationsdaten. Als Vereinsmitglied, das selbst viel Freizeit in den Aufbau einer freien Infrastruktur für die Bürger investiert, widerspreche ich Ihrer reißerischen Darstellung vehement!

Sie schreiben von „staatlich organisiert“, obwohl es meines Wissens bisher keinerlei Initiativen gibt, die freie Funknetze im Auftrag von Gemeinden erstellen. Richtig ist stattdessen, das dies häufig durch private Initiativen entstehen, wie etwa Freifunk oder Fonera. Gegenüber kommerziellen Zugangsanbietern hat die Polizei ja bereits erhebliche Mittel, um Daten abzufragen.
Eine mangelnde Differenzierung zeugt auch bei der Betrachtung der „anonymer Internetkriminelle“, als ob freie Infrastruktur ausschließlich durch kriminelle Elemente genutzt wird. Aller Wahrscheinlichkeit stellen diese lediglich einen kleinen Bruchteil dar, die Mehrheit der Nutzer genießt einfach den Zugang zum Netz für ihre Freizeitgestaltung, oder um zu arbeiten. Es wäre so gefährlich, wenn in diesem Szenario “nicht zu wissen, wer den virtuellen Raum betritt“, das können wir nicht nachvollziehen. Zunächst wäre eine Verkomplizierung des Zugangs für die meisten Nutzer eine Last und Gefährdung ihrer Privatsphäre. Auf der anderen Seite suggerieren Sie, dass durch eine vollständige Protokollierung alle Straftaten im Reich der Computerkriminalität aufgeklärt werden könnten. Das ist schlichtweg falsch, wie auch die von Ihnen zitierte Polizeiliche Kriminalstatistik von 2010 ausweist. So liegt die Aufklärungsquote bei knappen 36% deutlich unter der gesamten Aufklärungsquote von 56%. Dies liegt schlichtweg an technischen Ursachen, dass das Internet nicht mit dem Ziel entwurfen wurde, jede Person identifizierbar zu machen, die sich dazu Zugang verschafft.

Überhaupt ist ihre Aussage, das die Computerkriminalität “rasant wachse“ merkwürdig , da sonst (in abs. Zahlen) ja auch Anzeigen zu Betrug und Beleidigung in ähnlichen Umfang bei der Polizei gestiegen sind. Sollten Ihrer Aussage nach, dann nicht auch deshalb überall Kameras und Mikrofone im öffentlichen Raum aufgestellt werden? Falls Sie meinen der Vergleich hinke, so darf ich als sog. Digital native (neusprech) anmerken, dass das Internet genau das ist für uns: ein öffentlicher Lebensraum, der wie unsere Umgebung eher dereguliert gehört, um Kreativität und unzensierten (manche nennen es freien) Austausch von Informationen zu gewährleisten. Dies sind absolut notwendige Bedingungen, die eine Gesellschaft braucht und in den Grundrechten verbrieft sind. Ohne diese Luft zum atmen, fällt es den jüngeren Generationen immer schwerer, sich frei zu entfalten. Warum also verhindern, wenn ehrenamtliche Betreiber diesen wichtigen Beitrag leisten möchten?
Der von ihnen genannte Schaden (der in der Realität sehr schwer realistisch zu bestimmen sein wird, siehe Kriminalitätsstatistik), macht auch nur einen extrem geringen Anteil basierend auf dem deutschen Internetverkehr aus. Laut Bitkom etwa, wurde alleine durch die Informations- Telekommunikations-Branche ein Umsatz von 150 Millarden Euro erwirtschaftet. Nach Ihrer Rechnung wären das also 0,00047%, Jedoch hinkt dieser Vergleich diesmal wirklich, da dort die Wertschöpfung des Internet noch nicht einmal gesamtgesellschaftlich betrachtet wird, was schließlich ist der Wert von Wikipedia oder von allen Open Source-Projekten? Natürlich ist es für den Einzelnen sehr ärgerlich, wenn man bei eBay geprellt wird, dann macht es meist aber viel mehr Sinn, die Geldflüsse zurück zu verfolgen, denn dort kann man sich schon wesentlich schlechter verstecken (Wirtschaftskriminalität hat sagenhafte 91% Aufklärungsquote laut PKS 2010).

Sie beteuern, dass die Behörden “nicht in Datensammelwut ausbrechen“, verschweigen jedoch, dass eine Protokollierung der Verbindungsdaten nicht anders möglich ist, als jeden Nutzer unter Verdacht zu stellen. Die Informationen werden dabei pauschal und von allen Deutschen aufgezeichnet, die sich im Internet bewegen (50 Mio. laut Bitkom) und die Polizei dürfte sich dann im Verdachtsfall diese von einzelnen Personen einsehen. Die von Ihnen dafür vorgeführten “schwere Straftaten“ stellen sich laut Gesetz ein klein wenig anders da ... Mir persönlich ist der inflationärer Gebrauch von Cybercrime, Cyberwar, ... allerdings über. Er zeugt von einem immer weiter zunehmenden Verwischen von polizeilicher Arbeit, zivilrechtlicher Verfolgung und der Arbeit von anderen Ermittlungsbehörden, die sich etwa in der Antiterrordatei sehr anschaulich zeigt. Das Ziel „innere Sicherheit“ und seine ungenaue Definition lässt vermuten, dass die GdP die Verkehrsdaten für noch weitere Verwendungen verwerten möchte. Schön ist auch, dass Sie mit sicherheitstechnischen Schlagworte probieren die selektive Auswertung etwas harmloser zu verpacken. Da Bürger aber keinerlei Einsicht in die über Sie gespeicherten Informationen haben, fehlt dabei eindeutig ein Augenpaar im Kontrollprozess!

Die Politik hat bereits ausreichend (einige sind auch der Meinung eher zu stark) den Betrieb von IT-Infrastruktur vorgeschrieben. Einige Stichworte wären hier etwa Abmahnungen, Mitstörerhaftung, Domainregistrierung, Mobilfunkdaten... Bisher hat sich die Polizei weder durch Transparenz, noch durch Effektivität einen guten Ruf bei der massenhaften Sammlung von Daten erarbeitet (siehe Funkzellenabfrage, Gefährder, Islamistendatei, Datei Gewalttäter Sport, ...), so dass ich persönlich abseits aller bisherigen Bedenken, eher eine ausufernde Nutzung und eine Beweislastumkehr für möglich halte („Warum hatten Sie denn ihr Smartphone nicht mit?“).

Verständnis

Natürlich habe ich in gewisser Weise auch Verständnis für diejenigen Polizisten, die sich durch die moderne Technik ihre Arbeitsgrundlage entzogen kriegen. Es ist sicherlich deprimierend, wenn man eine Lücke in der Beweiskette hat und diese vielleicht mit der Vorratsdatenspeicherung hätte schließen können.
All diese sehen aber bestimmt ein, dass eine Methode, die wie ein Schleppnetz erst einmal alle Nutzer verdächtig, nur um dann einige wenige Verdächtige zu identifizieren, wenig geeignet ist um wirkungsvoll Vergehen aufzuklären und damit ein Gefühl der Sicherheit in unserer Gesellschaft zu erzeugen (Angemessenheit der Mittel). Zum anderen sollte nun auch jedem klar sein, dass die VDS eben kein Allheilmittel ist und sich Personen eben beliebig in technischen Netzwerken verstecken können.
Ich möchte nicht so weit gehen, das Internet „rechtsfrei“ zu nennen, allerdings ist es eben “recht frei“ und bis jetzt läuft es so auch ganz gut :)


(mega) Her(t)zlichst,
Matthias Meißer

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